Von wegen, die hessische Landeshauptstadt kann nur Historismus. Keine Frage, davon gibt’s in der Tat eine Menge in Wiesbaden. Aber eben auch viel mehr Jugendstil als manch einer denkt: Hinschauen lohnt etwa im 1907 eröffneten "neuen" Kurhaus, im irisch-römischen Bad der 101 Jahre alten Kaiser-Friedrich-Therme, beim 1909 errichteten Gebäude des Wiesbadener Kuriers (vormals Tagblatt) in der Langgasse oder dem "Weißen Haus" in der Bingertstraße mit seinen ganz unterschiedlich gestalteten Fassaden. Nicht zu vergessen die 1911 eingeweihte Lutherkirche. Und seit fünf Jahren nun lockt jene, in meinen Augen geheimnisvoll schweigende, dabei leicht verschmitzt lächelnde Jugendstil-Schönheit mit vielen anderen mehr in eine Dauerausstellung in den Südflügel des Museums Wiesbaden.
Genauer gesagt in die (Dauer-) Sonderausstellung "Jugendstil-Schenkung F. W. Neess": Die dort gezeigten über 500 Objekte bilden einen Querschnitt durch alle Gattungen und Strömungen des Jugendstils in ganz Europa – von Art Nouveau bis zur Wiener Secession. Und sind dort mal bewusst einzeln in Szene gesetzt, dann als Ensemble arrangiert oder als kleine Sammlungen dargestellt. Zu sehen sind Möbel, Skulpturen, Vasen und Lampen, aber auch Schmuckstücke, Glas, Porzellan und Keramik – und viele Gemälde, Pastelle und Aquarelle, deren Rahmen oftmals die Bilder organisch fortzuführen scheinen. Ihre magisch-mystische Sogwirkung noch unterstreichen.
Zusammengetragen hat all das der namensgebende Kunsthändler und -sammler Wolfgang Ferdinand Nees (1929-2020). Und gilt als größte europäische Privatsammlung des Jugendstils. Bei der man aus dem Staunen nicht mehr rauskommt: Vor allem, wenn man bedenkt, dass Nees in und mit all dem in seiner Villa gelebt habt. Wirkt vielleicht deshalb alles so lebendig? Auch nach über hundert Jahren?
Alles sollte nach seinem Tod zusammenbleiben, weiter gehütet werden. So wird der knapp 90-jährige Nees 2017 zu seiner großzügigen Schenkung unter anderem zitiert mit den Worten, er könne ja nichts mitnehmen. Auch seine Aussage "Sie wird mich überleben." sollte sich bewahrheiten – Nees starb ein gutes halbes Jahr nach der Eröffnung der Schau. Die läuft erfolgreich weiter. Was für ein Glück. Und hat Wiesbadens Anspruch, zu den europäischen Jugendstilstädten zu zählen, einmal mehr untermauert.
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre können das Hessisches Landesmuseum für Kunst & Natur, so der hochoffizielle Titel, übrigens kostenfrei besuchen. Und für Erwachsene ist im "Museum des Jahres 2007", das 2025 seinen 200. Geburtstag feiert, an jedem ersten Samstag im Monat der Eintritt frei.