Sie sind das älteste archäologische Freilichtmuseum in Deutschland: die hölzernen Pfahlbauten in Unteruhldingen am Bodensee. Im 19. Jahrhundert entdeckt, sind es natürlich Nachbauten, die da seit 1922 über dem Wasser stehen. Doch die Illusion ist perfekt, aus zunächst nur zwei Gebäuden wurde inzwischen ein ganzes Dorf auf hölzernen Pfeilern. Ein Besuch dort katapultiert einen ebenso unterhaltsam wie anschaulich zurück in jene Vorzeit, als hier eine spätbronzezeitliche Siedlung stand.
Alles begann im vorletzten Jahrhundert. In den 1870er Jahren fallen dem jungen Georg Sulger (1867-1939) auf dem Seegrund seltsame Gebilde auf. Was er für lauter "Köpf" hält, die aus dem Boden herausragen, sind in Wahrheit zahllose morsche Pfahlstumpen. Und die lassen den jungen Jörgle, wie er genannt wird, zeitlebens nicht mehr los. Die Neugier treibt ihn immer wieder zu dem geheimnisvollen Pfahlfeld, er findet immer mehr davon und baut zugleich eine Sammlung an Pfahlbaufunden auf mit Scherben, Pfeilspitzen und anderem mehr. Doch es sollten viele Jahre vergehen, bis er – längst erwachsen und schon über ein Jahrzehnt Bürgermeister von Unteruhldingen – in dem Tübinger Urgeschichtsforscher Hans Reinerth einen kongenialen Mitstreiter findet, mit dem sein Kindheitstraum wahr wird: ein Freilichtmuseum über Pfahlbauten.
1922 ist es dank vier weiterer Unterstützer soweit, das Museum eröffnet. Gleich das erste Jahr ist ein voller Erfolg, über 6.000 Besucher wollen die beiden Steinzeithäuser sehen, die da auf Pfählen in der Unteruhldinger Bucht unweit der Hafenmole stehen. Als die UFA Studios Berlin 1926/27 dann sogar den Film „Natur und Liebe“ mit Steinzeit-Darstellern dort drehen, sind die Pfahlbauten plötzlich in ganz Deutschland bekannt. Der Rest ist Geschichte. Erfolgreiche Geschichte. Rund 16 Millionen Besucher haben die stetig gewachsene Freiluftanlage seither besucht. Ich auch. Und er werden immer mehr. Zu Recht.
Im Juni 2024 wurde die neue Museumshalle eröffnet, deren Größe sich erst im Inneren so richtig darstellt – ist ihre Holzkonstruktion doch bis zum zwölfeinhalb Meter hoch. Drinnen stößt man als Erstes auf Pfähle, ein Einbaum schwebt an anderer höherer Stelle, viele Vitrinen nehmen Groß und Klein mit auf die jahrtausendealten Pfunde aus dem (Boden)See. Schade, dass, so wenige den Schaukästen auf der Galerie Beachtung schenken und auch dem sogenannten „Archaeorama“ bei Weitem nicht die Beachtung schenken, die es verdient.
Dort begleitet man Unterwasserforscher auf ihrem Tauchgang. Zunächst lauscht man ihren Vorbereitungen in der Umkleide, um dann in den Tiefen des Sees Ihr Rausfahren und Abtauchen zu verfolgen – ohne nass zu werden. Im dritten Raum dann taucht man im wahrsten Wortsinn auf – inmitten der "lebendigen" Pfahlbauten, um dann zunächst imaginär, aber beim Öffnen der letzten Türen dann real auf die Stege herauszutreten. Und dann ist man mittendrin. In Geschichte auf Pfählen.
In den beiden Gründungshäusern spürt eine Ausstellung, die Georg Sulger KI sei Dank zum Leben erweckt, den Museumsanfängen nach. Es folgen einzelne Baugruppen bzw. Themenbereiche etwa zur Bronzezeit und Steinzeit. Man kann sich das weitläufige Terrain auf dem markierten Rundweg selbst erlaufen – oder nutzt als Auftakt die knapp halbstündigen Einführungstouren für den ersten Überblick. Es gibt sie quasi den ganzen Tag über. Interessant: Jeder Guide setzt etwas andere Schwerpunkte, wie er den Besuchern das Museum in Gänze und dessen Besonderheiten im Detail vorstellt – und welche Siedlungsaspekte oder Fakten rund um die Pfahlbauer sie oder er hervorhebt.
In einem Parcours an Land entdecken nicht nur Kinder die Welt der Steinzeit spielerisch, auch viele Väter scheint diese besondere Art des Häusle bauen sehr zu interessieren. Und spielen mit. Warum auch nicht. Schließlich sind die Pfahlbauten eines der beliebtesten Bodensee-Ausflugsziele überhaupt. Zu recht.
Tipp: Es lohnt sich, ergänzend (oder vorweg) die Dauerausstellung zur "Welt der Pfahlbauten" im Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg in Konstanz zu besuchen. Dort erfährt man auch Spannendes über andere Fundstellen am Schwäbischen Meer, da die Schau allen UNESCO-Welterbestätten Pfahlbauten am Bodensee gewidmet ist.
Hinweis: Auf dem Gelände ist Fotografieren nur zum Privatgebrauch gestattet, jedoch ist die Verbreitung von Foto- und Videoaufnahmen über die Sozialen Medien u.a.m. aus Urheberrechtsgründen nicht gestattet. Ich habe keine offizielle Fotografier-Erlaubnis erhalten und mich daher an die Hausordnung bzw. die mir mitgeteilten Alternativen gehalten. Die hier inkludierten Außenaufnahmen entstanden vom angrenzenden Freigelände am Unteruhldinger Hafen, wo dem starken Niedrigwasser des Bodensees und dem zarten Frühlingsgrün sei Dank Blicke möglich waren, die sonst zugewachsen sind oder mehr als nur nasse Füße bedeuten.