Als ich in der Space Needle von Seattle quasi in den Scheiben lag, um von oben das gerade neu eröffnete MoPOP (damals noch Rock'n'Roll-Museum "Experience Music Project (EMP)" statt Museum of Pop Culture) zu fotografieren, machte ich mir herzlich wenig Gedanken darüber, wie stark der über 180 Meter hohe Aussichts- und Restaurantturm selbst an einem quasi windstillen Tag schwankt. Bis es mein Begleiter sagte. Dann spürte ich es auch. Und wollte ehrlich gesagt keine Details mehr darüber hören, sondern ziemlich schnell wieder runter. Zuvor hatte ich aber nur Augen für das Objekt meiner Begierde, besser gesagt, meiner Fotolinse: die Draufsicht auf den damals jüngsten Museumsbau von Pritzker-Preisträger Frank O. Gehry.
Das ist nun knapp 25 Jahr her. Doch wie im Juni 2000 ermöglicht es bis heute keine andere Perspektive, das Museumsgebäude besser in seiner Gänze zu erfassen. Steht man direkt davor, erinnert es in seiner "dekonstruktivistischen" Form und aufgrund der Oberflächen an andere Bauten Gehrys, so etwa an das drei Jahre zuvor eröffnete Guggenheim-Museum in Bilbao.
Erst aus der Vogelperspektive wird ersichtlich, welche ganz reale Form er wohl doch im Kopf hatte. Hat man dann noch im Hinterkopf, dass das MoPOP ursprünglich als Jimi-Hendrix-Museum konzipiert worden ist, nimmt das Abstrakte immer mehr echte Formen an. Man erkennt den zerbrochenen Korpus einer E-Gitarre, das zerstörte Saitengriffbrett – und das immer noch eingestöpselte Kabel. Das ist in echt die Einschienenbahn, mit der man aus der City in wenigen Minuten hier ist und nun quasi im Museum hält – und deren geschwungene Schienenführung auf luftiger Höhe das Bild komplettiert.
Die bizarre Architektur kam mir damals mutig vor. Und logisch. Denn für mich war und ist sie da nah dran am dem, was im Inneren ausgestellt wird. De facto war sie damals heiß diskutiert, bizarr und provokant waren noch zwei der wohlwollenden Beschreibungen. Die Fachwelt war zwiegespalten. Ich nicht. Gehry wollte der Energie und dem Fluss der Musik mit den Farben und Formen des Museumsbaus Ausdruck verleihen. Die Musik mit ihren Schwüngen und Rhythmen sozusagen räumlich darstellen. Mich sprach das sofort an.
Ich persönlich sah nämlich vor allem die Reminiszenz an Jimi Hendrix. Denn wohl kaum jemand hat die Kunst des Gitarrenzerstörens so perfektioniert wie er, der übrigens ebenso in Seattle geboren wurde wie Museumsstifter Paul Allen. Und dem das Museum, auch wenn es am Ende nie Hendrix' Namen trug, dennoch huldigt: unter anderem mit jener Fender E-Gitarre, die er auf dem legendären Woodstock-Konzert 1969 spielte.
Noch ein paar Funfacts zur Space Needle, von wo aus einem die Architektur von Frank O. Gehry erst so richtig ersichtlich wird: Erbaut wurde der scherzhaft "UFO auf Stelzen" genannte schlanke Tower in gerade einmal 400 Tagen für die Weltausstellung 1962. Deren Motto war, wie könnte es anders sein, "Das Leben des Menschen im Weltraumzeitalter". Nach oben gelangt man bis heute per Hochgeschwindigkeitsaufzug. Oben angekommen erwartet einen ein 360-Grad-Ausblick über Seattle und darüber hinaus – inklusive der grandiosen Sicht auf das MoPOP.
Hinweis: Die Fotos sind von Papierabzügen abfotografiert, daher die leichten Unschärfen.